Dieser Parallelbericht zum Bericht der Bundesrepublik Deutschland widmet
sich, nach Überzeugung und Erfahrung der Berichterstatterinnen, den nicht
erfüllten Verpflichtungen bezüglich der Menschenrechte, wie sie, aus dem
UN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau
(CEDAW) und, jeweils in Verbindung mit Art. 3 CEDAW, den anderen
Menschenrechtsverträgen der UN den intersexuellen Menschen erwachsen.
Nach Rechtsauffassung der Berichterstatterinnen umfasst der Schutz von CEDAW
alle Menschen, welche körperlich nicht eindeutig dem männlichen Geschlecht
zugehörig sind. Nur durch diesen weiten Umfang ist sicher gestellt, dass dieser
Schutz auch den Menschen zuteil wird, die fälschlich dem weiblichen oder dem
männlichen Geschlecht zugewiesen wurden. Die Umsetzung des geforderten Schutzes
ist nach Ansicht vieler, medizinisch als intersexuell oder „DSD“ (“Disorders of
sex development“) bezeichneter Menschen nicht gegeben.
Bei intersexuellen Menschen finden sich sowohl weibliche als auch männliche
körperlich-geschlechtliche Merkmale. Neben der Varianz ihrer geschlechtlichen
Anlagen liegen bei ihnen in der Mehrzahl der Fälle, keine weiteren
pathologischen Merkmale vor. Trotzdem werden sie in Deutschland - sowie auch in
zahlreichen anderen Ländern - von frühstem Kindesalter an - irreversiblen
medikamentösen und chirurgischen Eingriffen unterzogen. Diese Eingriffe führen
bei den so betroffenen Menschen konsequenterweise zu einer lebenslang obligaten
medizinischen Behandlung.
In der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Fälle wird mit medizinischen Mitteln
versucht, intersexuelle Kinder, optisch und psychisch, dem jeweiligen
kulturellen Kontext von „weiblich“ anzupassen. Eine medizinische Indikation
sowie eine Qualitätskontrolle fehlen hierzu völlig.
Ebenso gibt es Fälle, in denen versucht wird, intersexuelle Menschen unter
Verlust, überwiegend völlig intakter, weiblicher Geschlechtsorgane zu Jungen
bzw. Männern um zu operieren.
Die daraus resultierenden Konsequenzen hinsichtlich Mutterschaft, Körperbild
und sexueller Selbstbestimmung bedürfen, aus Sicht der Berichterstatterinnen,
keiner weiteren Ausführungen. Es ist Tatsache, dass diesen Menschen ein
Geschlecht, unter Verlust ihrer natürlichen individuellen
Entwicklungspotentiale, aufgezwungen werden soll. Die Notwendigkeit der
medizinischen Eingriffe wird dabei mit sozialen Aspekten begründet,
beispielsweise der Sorge, dass ein intersexuelles Kind ohne eindeutige
Geschlechtsmerkmale Opfer von (geschlechtlicher) Diskriminierung werden
könnte.
Offiziellen Schätzungen zufolge leben etwa 80.000 bis 120.000 medizinisch mit
dem Begriff „intersexuell“ („DSD“) klassifizierte Menschen in der
Bundesrepublik Deutschland.
CEDAW verbietet jede Form von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts:
„Jede mit dem Geschlecht begründete Unterscheidung, Ausschließung oder
Beschränkung“ (Artikel 1) umfasst und verpflichtet die Vertragsstaaten,
„alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau
durch Personen, Organisationen und Unternehmen zu ergreifen“ (Artikel 2)
Dabei fordert CEDAW die Vertragsstaaten in Artikel 5 bereits auf „einen
Wandel in den sozialen und kulturellen Verhaltensmustern von Mann und Frau zu
bewirken, um so zur Beseitigung von Vorurteilen sowie von herkömmlichen und
allen sonstigen auf der Vorstellung von der Unterlegenheit oder Überlegenheit
des einen oder anderen Geschlechts oder der stereotypen Rollenverteilung von
Mann und Frau beruhenden Praktiken zu gelangen“. Aus der Perspektive
intersexueller Menschen ist dieser Wandel zur Beseitigung von
Geschlechterstereotypen und der Vorstellung einer rein binären auf Mann und
Frau beschränkten, Geschlechterkonstruktion geradezu (über-)
lebenswichtig.
Das Anliegen des vorliegenden Schattenberichts ist es, über die physische,
psychische und soziale Situation intersexueller Menschen in Deutschland
aufzuklären mit dem Ziel die vollständige Umsetzung der Menschenrechte auch für
intersexuelle Menschen durchzusetzen. Deutschland darf als CEDAW-Vertragsstaat
die nach Meinung der Berichterstatterinnen schweren Menschenrechtsgefährdungen
und -verletzungen an intersexuellen Menschen nicht mehr länger ignorieren und
muss „alle geeigneten Maßnahmen einschließlich gesetzgeberischer Maßnahmen
zur Sicherung der vollen Entfaltung und Förderung der Frau“ treffen,
„damit gewährleistet wird, dass Frau die Menschenrechte und
Grundfreiheiten“ ausüben kann (Artikel 2 CEDAW). Im sechsten
Staatenbericht der Bundesregierung zu CEDAW finden die Anliegen intersexueller
Menschen kein Gehör. Mit dem Schattenbericht verbindet sich daher die Hoffnung,
dass CEDAW gegenüber der Bundesregierung darauf hinwirken wird, dass die
Menschenrechte intersexueller Menschen aus CEDAW und, in Verbindung mit Art. 3
CEDAW, auch aus den anderen Menschenrechtsverträgen der Vereinten Nationen, in
Deutschland angewandt bzw. durchgesetzt werden.
Die intersexuellen Frauen legen diesen eigenen Schattenbericht vor, weil sie
sehr spezifischen Formen von Gewalt und Diskriminierungen ausgesetzt sind. Im
Prozess der Vorbereitung des Schattenberichts, waren die intersexuellen Frauen
dennoch von Anfang an mit der NGO-Plattform zur Erstellung des kompilierten
Schattenberichts des Deutschen Frauenrats vernetzt.
Intersexualität berührt eine Vielzahl universeller Menschen- und Frauenrechte.
Der vorliegende Schattenbericht konzentriert sich auf die Darstellung von
Menschenrechtsverletzungen in Bezug auf die mangelnde Umsetzung der in Artikel
1-5 (underlying principles of the CEDAW Convention: Equality,
Non-Discrimination and State Obligation), Artikel 10 (Education),
Artikel 12 (Health) und Artikel 16 (Marriage and Family)
niedergelegten Rechte.
Alle Menschenrechte sind gleichrangig, interdependent und unteilbar. Nach
Artikel 28 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat jeder Mensch
gleichermaßen Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in welcher
die Menschenrechte und Grundfreiheiten voll verwirklicht werden können. CEDAW
betont in der Präambel „... dass alle Menschen frei und an Würde und
Rechten gleich geboren sind, ohne irgendeinen Unterschied auf Grund des
Geschlechts“. Dies gibt Anlass zur Hoffnung für intersexuelle Menschen und
wird von den Betroffenen mit großer Anerkennung und in der Hoffnung auf Hilfe
gewürdigt.
Im Sinne der universellen und interdependenten Menschenrechte scheint es
erforderlich, die Anliegen intersexueller Menschen in Zukunft auch an andere
UN-Fachausschüsse weiter zu leiten (insbesondere an die Fachausschüsse zum
Zivilpakt (ICCPR), zum Sozialpakt (CESCR), zur Kinderrechtskonvention (CRC) und
zur Konvention gegen Folter (CAT) sowie an die Sonderberichterstatter/innen zu
Folter, Gewalt gegen Frauen und Kinder).